CFW Stiftung

Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge

Das Recht auf Arbeitskampf genießt hierzulande einen besonders hohen Stellenwert, folgt es doch direkt aus der in Artikel 9 Absatz 3 verankerten Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes. Alles Weitere haben die Gerichte festgeschrieben, nicht der Gesetzgeber. So etwa der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder das Übermaßverbot, wonach keine milderen Mittel zur Beilegung des Konfliktes zur Verfügung stehen dürfen. Und schließlich dürfen Arbeitskämpfe nur von den Tarifparteien ausgefochten werden, also von den Arbeitgebern und ihren Verbänden auf der einen Seite (Aussperrung) und den Gewerkschaften auf der anderen (Streik).  

Jahrzehntelang boten diese von den Gerichten eingezogenen Leitplanken ausreichende Orientierung. Die Tarifparteien erzielten in meist maßvollen Konflikten in aller Regel verträgliche Lösungen. Doch die vom Bundesarbeitsgericht jüngst geschaffene Tarifpluralität, also das Nebeneinander unterschiedlicher Tarifverträge in einem Betrieb, sowie die wachsende Zahl kleiner Spartengewerkschaften werfen die Frage auf, ob nicht angesichts gewandelter Lebensverhältnisse und zunehmender Konfliktbereitschaft der Gesetzgeber nun doch aufgerufen ist, sich zeitnah mit der Materie zu befassen.

Spezifische Probleme bei Unternehmen der Daseinsvorsorge

Selbst wenn allerdings eine Neuregelung für das Nebeneinander unterschiedlicher Tarifverträge zustande kommt, bleiben für Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge spezifische Probleme. Denn jede Arbeitskampfmaßnahme hat dort erhebliche Konsequenzen für die Allgemeinheit, sei es in der Gesundheitsvorsorge oder bei Verkehrsunternehmen wie etwa der Bahn oder Luftverkehrsunternehmen. Auch die Auswirkungen auf die Volkswirtschaft insgesamt können hier beträchtlich sein.

Ein Blick auf die Regelungen des Arbeitskampfes in diesen Wirtschaftsbereichen für so unterschiedliche Länder wie die USA, Frankreich, Italien und Spanien belegt, dass dort der Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge übereinstimmend besonderen Regelungen unterworfen ist.  Ausnahmslos wird etwa die Luftfahrt als sensibler und regelungsbedürftiger Bereich gewertet. Ebenso besteht in diesen Ländern Übereinstimmung bei der Suche nach einem angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und dem Streikrecht: Verpflichtung zur Ankündigung des Streik und zu einem Schlichtungsverfahren vor Streikausbruch, danach Notdienstarbeiten in unterschiedlichem, teilweise erheblichen Umfang. „Wenn verschiedene Rechtsordnungen von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten zum gleichen Ergebnis kommen“, folgert der Bonner Arbeitsrechtler Professor Gregor Thüsing, „dann hat das die Vermutung der Angemessenheit für sich.“

Gesetzesvorschlag 2012

Um Handlungsoptionen zu ergründen, rief die Carl Friedrich v. Weizsäcker-Stiftung 2011 eine Professoren-Initiative ins Leben. Das Ziel: einen Gesetzesvorschlag für Arbeitskämpfe in der Daseinsvorsorge zu entwickeln. Der am 19. März 2012 in Berlin vorgestellte Gesetzesvorschlag unternimmt den Versuch, Arbeitskämpfe in der Daseinsvorsorge mit Rücksicht auf die Bevölkerung zu regeln und dabei streng den Vorgaben des Grundgesetzes gerecht zu werden. Wie die die Initiative tragenden Rechtsprofessoren Martin Franzen (München), Gregor Thüsing (Bonn) und Christian Waldhoff (Bonn) erklärten, trage der von ihnen entwickelte Vorschlag gleichzeitig den Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Rechnung. Der im Auftrag der Carl Friedrich v. Weizsäcker-Stiftung erstellte Entwurf sieht erstmals gesetzliche Schanken für Arbeitskämpfe etwa im Luft- und Schienenverkehr, in der Gesundheitsversorgung, der Telekommunikation sowie im Erziehungswesen vor.

Nach Vorstellung der Professoren-Initiative sollen Streiks in Unternehmen der Daseinsvorsorge nur dann zulässig sein, wenn sie zuvor mit einer Frist von vier Tagen angekündigt wurden. Außerdem soll die Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt sein. Können sich die Tarifvertragsparteien hierüber nicht einigen, sieht der Gesetzesvorschlag ein Schlichtungsverfahren vor. Darüber hinaus sollen Arbeitskämpfe in der Daseinsvorsorge nur zulässig sein, wenn mehr als die Hälfte der Gewerkschaftsmitglieder an einer Urabstimmung teilnehmen und sich für einen Streik aussprechen.

Ferner ergibt sich aus dem vorgeschlagenen Gesetz, dass Arbeitskampfmaßnahmen erst dann eingeleitet werden dürfen, wenn ein Schlichtungsversuch erfolglos geblieben ist. Auch mit den in den vergangenen Jahren immer stärker gewordenen Berufsgruppengewerkschaften setzt sich das im Auftrag der Carl Friedrich v. Weizsäcker-Stiftung gebildete Professorengremium auseinander. Danach sollen Spartengewerkschaften nur dann streiken dürfen, wenn die erhobenen Tarifforderungen auf mindestens 15 Prozent der Arbeitsverhältnisse in dem betroffenen Unternehmen oder der Branche angewandt werden sollen

Zur Begründung des Entwurfs wies der Bonner Arbeitsrechtler Prof. Gregor Thüsing darauf hin, dass sich „Arbeitskämpfe im Bereich der Daseinsvorsorge erheblich von anderen unterscheiden. Hier ist die Allgemeinheit in der Regel unmittelbar nachteilig betroffen.“ Die Unternehmen seien in diesem Bereich verpflichtet, die Leistungen „im Interesse der Bürger soweit wie möglich aufrechtzuerhalten“. Daher sei es gerechtfertigt, für Unternehmen der Daseinsvorsorge, zu der nicht nur Verkehrsunternehmen und Krankenhäuser, sondern zum Beispiel auch Feuerwehren zählen, Sonderregelungen zur Lösung von Arbeitskonflikten vorzusehen.

Der ebenfalls an der Universität Bonn lehrende Verfassungsrechtler Prof. Christian Waldhoff wies darauf hin, dass der Gesetzgeber gehalten sei, für den Bereich der Daseinsvorsorge eine Regelung zu treffen. „Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach, zuletzt im Urteil vom Januar dieses Jahres, unterstrichen, dass das Gemeinwohl nicht beeinträchtigt werden darf und der Schutz Dritter hohe Priorität geniesst“, sagte Waldhoff. „Daher entspricht eine gesetzliche Regelung den verfassungsrechtlichen Wertungen – die bisherige Situation tut dies nicht.“

Unter Verweis auf den jüngsten Streik der Vorfeldlotsen am Flughafen Frankfurt sagte der Münchner Professor für Arbeitsrecht, Martin Franzen, der Gesetzentwurf solle verhindern, dass „kleine und besonders streikmächtige Arbeitnehmergruppen Sondervorteile für sich erstreiken, die anderen Arbeitnehmergruppen nicht zugute kommen sollen.“ Der vorgelegte Entwurf trifft auf großes Interesse der politischen Parteien, die seit Streikmaßnahmen im Luftverkehr im Frühjahr 2012 intensiv über mögliche Regelungskonzepte diskutieren.

Gesetzentwurf »

Allensbach-Umfrage: Breite Ablehnung von Streiks in Unternehmen der Daseinsvorsorge

Mit einer deutlichen Mehrheit sprechen sich die Deutschen für Einschränkungen des Streikrechts oder ein Verbot von Streiks in Unternehmen der Daseinsvorsorge aus. Dies hat das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) in einer repräsentativen Befragung unter 1.798 Bundesbürgern im Auftrag der Carl-Friedrich v. Weizsäcker Stiftung im Mai 2011 ermittelt. Danach sind knapp 72 Prozent aller Befragten für Einschränkungen oder ein Verbot von Streiks bei Beschäftigten in Krankenhäusern. Auch im Luftverkehr und bei der Bahn sprechen sich mit jeweils um die 60 Prozent große Teile der Bevölkerung für ein Verbot von Streiks bzw. für ein eingeschränktes Streikrecht aus. Für ein völliges Streikverbot bei Fluggesellschaften und Flughäfen sind dabei neun Prozent, bei der Bahn sind es 14 Prozent. Demgegenüber votieren knapp 30 Prozent weiterhin für ein uneingeschränktes Streikrecht im Bahnverkehr, etwa ebenso viele im Flugverkehr und lediglich 21 Prozent für ein uneingeschränktes Streikrecht im Krankenhaus-Sektor.

Großen Teilen der Bevölkerung sind auch die wirtschaftlichen Folgen von Streiks bewusst. Mit über 45 Prozent ist eine deutliche relative Mehrheit davon überzeugt, dass die von Streiks ausgelösten wirtschaftlichen Schäden heute höher liegen als noch vor Jahren, nur gut sechs Prozent glauben, dass sie niedriger sind. Dennoch stehen die Deutschen mit großer Mehrheit hinter den Gewerkschaften: Nur zehn Prozent sind der Meinung, Gewerkschaften seien heute generell überholt. Allerdings sehen 37 Prozent deutlichen Veränderungsbedarf bei den Gewerkschaften, da ihr Verhalten nicht mehr in diese Zeit passe.

Jeder zweite Deutsche spricht sich sowohl für Branchengewerkschaften als auch für branchenbezogene Tarifverträge aus. Nur ein knappes Viertel findet unterschiedliche Tarifverträge für einzelne Berufsgruppen einer Branche besser. Gleichwohl sind große Teile der Bevölkerung davon überzeugt, dass Spartengewerkschaften die Interessen der Arbeitnehmer gezielter vertreten. Eine Gewerkschaft für alle Arbeitnehmer präferieren lediglich 14 Prozent.

Praktiker berichten über Probleme in der Daseinsvorsorge

Bei einem Gesprächsforum der CFvW-Stiftung am 1. Juli 2011 in Berlin wies der Personal- und Finanzvorstand der Lufthansa Cargo AG, Peter Gerber, auf zunehmende Probleme bei Arbeitskämpfen in Unternehmen der Daseinsvorsorge hin. Einerseits seien Spartengewerkschaften in den vergangenen zehn Jahren schlagkräftiger geworden seien, zum anderen habe das Bundesarbeitsgericht die Tarifeinheit aufgegeben. Sein Unternehmen habe sich seit Jahren mit einer Reihe von Gewerkschaften auseinanderzusetzen, eine ähnliche Entwicklung sei bei der Bahn oder im medizinischen Bereich zu beobachten.

Doch das mehr als 100 Jahre alte deutsche Arbeitskampfrecht habe mit dieser rasanten Entwicklung nicht Schritt gehalten. Deswegen sei mittlerweile, so Gerber, die Kampfparität nachhaltig gestört. Verkehrsunternehmen wie die Lufthansa könnten ihre Leistungen nach Arbeitskämpfen – anders als Produktionsunternehmen - nicht nachholen. Sehr hohe Schäden träten bei seinem kapitalintensiv strukturierten Unternehmen vielmehr schon dann ein, wenn nur mit Arbeitskämpfen gedroht werde. Gegen solche "kalten Streiks" gebe es kein sinnvolleres Gegenmittel, zumal die Allgemeinheit gleichzeitig betroffen sei. Auf diese Weise nutzten kleine Gruppen von Beschäftigten ihre Monopolstellung, um weit überdurchschnittliche Lohnsteigerungen und andere Vergünstigungen zu erreichen.   Aus diesen Gründen fordert der Manager gesetzliche Regelungen für Arbeitskämpfe bei Unternehmen der Daseinsvorsorge.

Anders der FDP Politiker Dr. Heinrich Kolb. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende sieht keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung von Arbeitskämpfen in der Daseinsvorsorge. Die Streiksituation in Deutschland sei akzeptabel. Auch sei nicht feststellbar, "dass wir jetzt auf dem Weg sind zu einer massenhaften Gründung von Kleinstgewerkschaften." Kolb sagte, das Arbeitskampfrecht werde durch die Rechtsfortbildung der Gerichte ausformuliert. Selbst wenn es eine gesetzliche Regelung gäbe, würde sich daran nichts ändern. Eine Qualifikation von Schäden aufgrund so genannter "kalter Streiks" ist laut Kolb nicht möglich, da entsprechende Untersuchungen derzeit fehlten.

Professor Robert von Steinau-Steinrück (Rechtsanwaltsgesellschaft Luther, Berlin) befürwortete dagegen ebenfalls eine gesetzliche Regelung. Arbeitskämpfe hätten sich in den vergangenen Jahren auch aufgrund der geänderten Rechtsprechung deutlich ausgeweitet. Die Beeinträchtigung der Allgemeinheit sei in Unternehmen der Daseinsvorsorge häufig kaum hinnehmbar, auch deswegen, weil Notdienste immer schwieriger zu vereinbaren seien. Wenn es – auch angesichts massenhafter Betroffenheit der Allgemeinheit - keine sinnvollen Abwehrmaßnahmen für den Arbeitgeber gäbe, müsse der Gesetzgeber Vorkehrungen treffe

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