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Das Arbeitskampfrecht der USA

Anders als in Deutschland sind Streik und Aussperrung in den Vereinigten Staaten Gegenstand eingehender gesetzlicher Regelung. In seiner Analyse leitet der Bonner Arbeitsrechtler Professor Gregor Thüsing die Besonderheiten des Arbeitskampfs im Luftfahrtbereich aus den einschlägigen Gesetzestexten ab.

Grundlagen des Streikrechts

Im Gegensatz zum Grundgesetz enthält die amerikanische Verfassung keine ausdrückliche Garantie der Koalitionsfreiheit, wenn auch verschiedene Gerichte aus der Verfassung einen mittelbaren Schutz der Koalitionen und ihres Wirkens herauslesen. Zum Beispiel ist freedom of association in einigen Zusammenhängen aus der Garantie des Amendment abgeleitet, das die Freiheit der Meinungsäußerung der Presse und der Versammlung schützt. Angesichts dieser schwachen, nur mittelbaren Verankerung des Streikrechts in der Verfassung ist die Ausgestaltungsbefugnis des amerikanischen Gesetzgebers weitergehend als die des deutschen.

Der Gesetzgeber hat die Ausgestaltung insbesondere durch zwei Gesetze verwirklicht. Zum einen durch den National Labor Relations Act (NLRA), der bis auf einige Ausnahmen die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern nicht-staatlicher Arbeitgeber regelt, soweit es nicht Beschäftigte der Eisenbahnen und Fluggesellschaften sind. Für letztere gilt der Railway Labor Act (RLA). Von den zwei zentralen Gesetzen des Tarif-und Arbeitskampfrechts betrifft eines also
speziell den Bereich des Fernverkehrs, seit 1922 die Eisenbahn und seit 1936 aufgrund ihrer zunehmenden Bedeutung auch die Luftfahrt. Der Zweck des Gesetzes wird in Übereinstimmung mit den Gesetzgebungsmaterialien allgemein dahingehend gedeutet, dass in Anbetracht der besonderen Bedeutung der Transportwirtschaft für die nationale Wirtschaft die friedliche Beilegung von Arbeitskonflikten erleichtert werden sollte. In Umsetzung dieses Gedankens enthält das Gesetz einige auffällige Unterschiede zum NLRA, denen gemeinsam ist, dass sie den Streikausbruch verzögern, den Streikumfang beschränken aber dennoch gewährleisten, einen angemessenen Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen herbeizuführen.

Besonderheiten des Railway Labor Act

Sowohl für den Bereich des NLRA als auch des RLA besteht die Möglichkeit des Präsidenten, in den Arbeitskampf einzugreifen, wenn er glaubt, dass dieser die nationale Gesundheit oder Sicherheit beeinträchtigen könnte ("imperil the national health or safety"). Grundlage im Bereich des NLRA ist Sec. 206 des Taft-Hartley Act von 1947. Für den Bereich des LRA ergibt sich ein vergleichbares Recht direkt aus dem Gesetz selbst. Auch wenn also weder NLRA noch RLA eine Vorschrift enthalten, die dem deutschen Verhältnismäßigkeitsprinzip vergleichbar ist, erfolgt doch der Schutz des öffentlichen Interesses durch Verfahrensvorschriften. Das Recht des Präsidenten geht zwar nicht so weit, den Tarifvertragsparteien bestimmte Arbeitsbedingungen vorzuschreiben oder auch nur vorzuschlagen, er kann jedoch eine Unterlassungsverfügung von 80 Tagen erlassen und eine Kommission (emergency board) einsetzen, um den Arbeitskampf und sein Anliegen zu untersuchen und ihm das Ergebnis in einem schriftlichen Bericht zu übermitteln. Zwischen 1947 und 1978 hat der Präsident außerhalb des Verkehrsbereichs nur ca. 30 Mal von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, jedoch bis 1997 allein in etwa 200 Arbeitsauseinandersetzungen im Eisenbahnbereich und in etwa 34 Arbeitskonflikten bei Fluggesellschaften. Eine der jüngsten Forderungen nach einem solchen Emergency Board entstammt dem Konflikt zwischen der Allied Pilots Association und American Airlines im Februar 1997; bereits die Ankündigung des Präsidenten einzuschreiten, beendete den Streik.

Generell führt dies zu einer Rückdrängung des Arbeitskampfs, die für die sonst durchaus streikfreudigeren Arbeitnehmer der Vereinigten Staaten untypisch ist. Nach Information des National Mediation Board gab es in den vergangenen 5 Jahren nur einen größeren Streik in der Luftfahrtindustrie.

Schlichtungsverfahren

Ansonsten ist ein obligatorisches Schlichtungsverfahren im Bereich des NLRA nicht vorgesehen. Im Bereich des LRA liegt das anders: Vor der Änderung eines Tarifvertrags, der Löhne oder sonstige Arbeitsbedingungen betrifft, müssen sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften 30 Tage vorher die andere Seite benachrichtigen. Jede Seite kann den National Mediation Board (NMB) anrufen oder der Board kann von sich aus seine Zuständigkeit begründen, um damit einen Arbeitskampf zu beenden oder zu verhindern. Ist der Board angerufen worden oder von sich aus eingeschritten, sind die Parteien verpflichtet, von Arbeitskampfmaßnahmen abzusehen, bis sie vom Board aus der Verhandlung entlassen wurden.

Der dritte Unterschied betrifft die Möglichkeit einer Unterlassungsverfügung. Anders als vielleicht in Deutschland existiert in den USA ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen Gerichte und gegen gerichtliche Eingriffe in Arbeitskampfstreitigkeiten, das zum Erlass des Norris-LaGuardia Act von 1932 geführt hat, der generell Bundesgerichten verbietet, Unterlassungsverfügungen zur Beschränkung von friedlichen Arbeitskämpfen zu erlassen. Großzügiger bei der Möglichkeit einer Unterlassungsverfügung ist jedoch der RLA. Obwohl dieser sechs Jahre vor dem Norris-LaGuardia Act erlassen wurde, entschied der Supreme Court, dass eine solche Verfügung bei Verletzung von ausdrücklichen Verboten des RLA möglich ist, solange dies der einzig praktikable Weg zur Durchsetzung des Gesetzes ist.

Kaum Gemeinsamkeiten mit deutschem Recht

Eine letzte Besonderheit hat nur wenig Gemeinsamkeit mit dem deutschen Arbeitskampfrecht, unterstreicht aber wiederum den Willen des amerikanischen Gesetzgebers, in der Eisenbahn-und Luftfahrtbranche den Betrieb auch während eines Streiks aufrecht zu erhalten. Grundsätzlich ist es dem Arbeitgeber nicht erlaubt, während des Streiks zusätzlich Vergütungen über dem Gehaltsniveau vor dem Streik zu zahlen. Streikbruchprämien sind damit ausgeschlossen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Verhandlungen einen Punkt erreicht haben, in dem eine Einigung nicht mehr zu erwarten ist ("after good faith negotiation have exhausted the prospect of concluding an agreement"). Im Anwendungsbereich des RLA liegen die Dinge aber anders. Das Transportunternehmen hat eine Verpflichtung, alle angemessenen Schritte zu unternehmen, um die Durchführung der Transportdienste auch während des Streiks sicherzustellen. Diese Verpflichtung führt zugleich zu erweiterten Handlungsspielräumen des Arbeitgebers, dem erlaubt ist, nicht nur einseitige Arbeitsbedingungen nach Verhandlungsstillstand festzusetzen, sondern auch bestehende tarifvertragliche Bindungen abzuändern, wenn dieses vernünftigerweise erforderlich scheint, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Streikbruchprämien sind daher in den geeigneten Fällen erlaubt.