CFW Stiftung

Carl Friedrich v. Weizsäcker

 

zum 85. Geburtstag

 

Laudatio

 

Bundespräsident Professor Dr. Roman Herzog am 11. Juli 1997

Eine hochlöbliche Schar von Verehrern hat sich heute zusammengefunden, um Ihnen, lieber Herr v. Weizsäcker, zu Ihrem 85. Geburtstag zu gratulieren.

Als ich vom Vorstand des Vereins „Wissen und Verantwortung“ gebeten wurde, die Laudatio zu halten, da habe ich spontan „ja“ gesagt, aber zugleich auch ein wenig gezögert, weil ich mir schlagartig der Schwierigkeit bewußt wurde, ein so reiches Lebenswerk wirklich umfassend zu würdigen - und das auch noch so, daß ein Abendessen dadurch nicht gesprengt wird. Denn Sie sind für mich, das sage ich nun aus voller Überzeugung, der Inbegriff des Universalgelehrten, und deshalb ein Gegenstand aufrichtiger Bewunderung.

Als Gelehrter geistig im Universum zu Hause zu sein und darüber hinaus als Wissenschaftler in seinen Fächern - in der Physik und der Philosophie - einer der Großen zu sein, das haben neben Ihnen nur wenige fertiggebracht. Naturwissenschaftliche, philosophische, theologische und juristische Fakultäten haben Ihnen Ehrendoktortitel verliehen. Ihr Werk ist in nahezu 300 Büchern und Aufsätzen festgehalten. Ihr Leben steht praktisch für unser gesamtes Jahrhundert.

Das Fazit, das Sie aus alldem ziehen, haben Sie dem von Ihnen mitgegründeten Verein auf den Weg gegeben: „Wissen und Verantwortung“ - Wissen und Verantwortung in ihrer Wechselwirkung. Und tatsächlich: Wer mehr weiß, der trägt auch mehr Verantwortung, und wer besonders hohe Verantwortung trägt, sollte auch ein besonders hohes Maß an Wissen in sich vereinigen. Der Begriff „Elite“ - man muß in Deutschland immer entschuldigend hinzufügen: im besten Sinne des Wortes - der Begriff Elite ist mit dieser Gemengelage aus Wissen und Verantwortung verbunden. Elite durch Leistung und Verantwortung, Elite auch als Fähigkeit zum Vorbild! Für die von Ihnen geplante Stiftung, die diese Erkenntnisse einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln und zugleich dazu beitragen soll, das notwendige Wissen zur Bewältigung unserer Zukunftsaufgaben zu sammeln, für dieses Projekt wünsche ich Ihnen von Herzen gutes Gelingen.

Lieber Herr v. Weizsäcker, Bescheidenheit, wie wir sie von Ihnen kennen, ist ehrenvoll. Ich weiß durchaus, daß Sie kein großer Freund von „Lobpreisungen“ sind. Aber lassen Sie es mich so sagen, wie ich es in diesem Zusammenhang immer sage: an einem solchen Tag kommen auch Sie nicht darum herum, sich so etwas anzuhören. Es ist ein tiefer Zwiespalt im Menschen zwischen Bescheidenheit und Wahrheitsliebe. Und an einem Tage wie dem heutigen muß man sich für die Wahrheitsliebe entscheiden und nicht für die Bescheidenheit.

Ihre erste Liebe, das haben Sie oft gesagt und oft geschrieben, galt der Astronomie und der Philosophie. Sie waren 14 Jahre, als Sie in Kopenhagen einen nur 10 Jahre älteren, aber doch schon berühmten Gelehrten kennenlernten: Werner Heisenberg. Mit ihm sollte Sie nicht nur Freundschaft verbinden. Auf seinen Rat hin haben Sie sich auch entschlossen, Physik zu studieren - eben bei Werner Heisenberg. Ich bin versucht hinzuzufügen, daß ich ein Jahr lang nicht gewußt habe, ob ich Jura oder Physik studieren soll. Hätte ich damals einen Heisenberg oder auch Carl Friedrich v. Weizsäcker getroffen, dann wäre ich vielleicht Physiker geworden - und dem deutschen Volke wäre dadurch manches erspart geblieben. Aber zurück zu Ihnen: Mit 21 Jahren waren Sie promoviert, mit 24 habilitiert; Sie legten also ein hohes Tempo vor.

Astronomie, Physik, Philosophie und Religion waren die Kräfte, die Ihr ganzes Leben bestimmt haben. In der Auseinandersetzung mit ihnen haben Sie es zu der von uns allen bewunderten Meisterschaft gebracht: Grenzen zu überschreiten und scheinbare Gegensätze - wie gerade die zwischen Naturwissenschaft und Religion - zu überwinden. Und das in jener klaren und deutlichen Sprache, die in Deutschland so selten ist, die aber ein erstes Verstehen zuläßt und zugleich die Möglichkeit schafft, weiter und tiefer zu fragen. Wunderschön zusammengefaßt ist das im Titel Ihres 1992 erschienenen Buches „Die Sterne sind glühende Gaskugeln, und Gott ist gegenwärtig“.

Ihre zahllosen Arbeiten zur Physik, insbesondere zur Kernphysik, und zur Philosophie hier zu nennen, hieße wirklich „Eulen nach Athen tragen“ und den Abend endgültig sprengen. Dasselbe gilt für die Ehrungen und Auszeichnungen, die Sie im Laufe Ihres Lebens erhalten haben. Nur - sozusagen „zuständigkeitshalber“ - möchte ich als Protector erwähnen, daß Sie seit 1961 ganz selbstverständlich auch dem Orden Pour le mérite angehören und diese ehrenwerte Vereinigung seit je mit Leben erfüllen.

In der jungen Bundesrepublik waren Sie von Anbeginn eine geistige und moralische Autorität. Zweimal wurde Ihnen die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten angetragen - oder sollte ich besser sa­gen: angesonnen? -; Sie lehnten ab, auch aus der Überzeugung, möglicherweise als wirklich unabhängiger Wissenschaftler größere, auch politisch größere, Wirkung erzielen zu können. Ich glaube, beide haben es schwer: der unabhängige Wissenschaftler, der sich kein Blatt vor den Mund nehmen sollte, dabei aber zumindest an Grenzen der Plausibilität stößt, und der Bundespräsident, dessen Wahrheitsdrang oft an die Grenzen seines zum Ausgleich verpflich­tenden Amtes stößt. Letztlich sind beide darauf angewiesen, daß die Menschen sie hören wollen, auf sie hören wollen, und daß sie dann in eigener Verantwortung daraus ihre selbstverantworteten Konsequenzen ziehen.

1967 wurde Ihnen von mehreren Seiten die Gründung eines Institutes nahegelegt, das sich mit all jenen Fragen befassen sollte, die mit den großen Konflikten der Zeit zusammenhingen. Der Name spiegelte das Programm wider: Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. 1970 wurden Sie Direktor dieses Instituts. Und ich bin ganz sicher, diese Aufgabe war Ihnen wirklich auf den Leib geschnitten.

„Lebensbedingungen“, daß heißt immer auch „Bedingungen des Überlebens“. Damals war die Zeit des Ost-West-Konfliktes, des „Kalten Krieges“; die Welt stand unter dem Damoklesschwert eines dritten, mit Atomwaffen geführten Weltkrieges. Über „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“ handelte denn auch die erste Studie.

In Ihrem Institut entwickelten sich dann umfangreiche Aktivitäten, von einer alternativen Verteidigungspolitik über Fragen der Weltwirtschaft und der Soziologie bis hin zu Umweltfragen. Es wurde - mit anderen Worten gesprochen - zu einem „Institut für unbequeme Fragestellungen“. Bei dieser Gelegenheit will ich doch sagen: Wer wollte bestreiten, daß wir heute ein solches Institut dringender denn je bräuchten? Aber dabei reicht eben nicht einfach ein Institut. Das war auch nicht die Idee Adolf von Harnacks. Sondern es kommt darauf an, daß wir immer wieder Persönlichkeiten finden, Persönlichkeiten wie Sie, um die herum man ein solches Institut aufbauen kann.

Lassen Sie mich noch einmal auf Ihre Arbeit als Physiker zurückkommen. Die Erkenntnis der Gefährdung durch die Atombombe war für Sie sicher entscheidender Anlaß, Ihre damalige Professur für Philosophie an der Universität Hamburg aufzugeben und das Max-Planck-Institut in Starnberg zu übernehmen. Unübertrefflich klar sagten Sie in Ihrem Vorwort zu „Der Mensch in seiner Geschichte“: “Naturwissen­schaft, speziell theoretische Physik, ist mein gelernter Beruf, in dem ich auch heute noch arbeite. Philosophie ist der Versuch, zu verstehen, was wir denken und was wir tun; ... . Politik hingegen ist die bittere Pflicht des Physikers im Zeitalter der Atombombe.“

Sie haben diese Pflicht schon früh gefühlt. Anfang 1939 erfuhren Sie als einer der ersten, daß Otto Hahn den Kern des Uranatoms gespalten hatte. Bald zeichnete sich dann die Möglichkeit ab, eine Waffe von bis dahin unvorstellbarer Vernichtungskraft zu bauen. Mit dem Beginn des Krieges wurden Sie mit den wichtigsten deutschen Kernphysikern zum Heereswaffenamt dienstverpflichtet. Die Verfänglichkeiten zwischen wissenschaftlicher Leidenschaft und Macht­mißbrauch haben Sie schnell gespürt. Später haben Sie wiederholt Ihre Dankbarkeit dafür ausgedrückt, daß die geringen Mittel, die damals zur Verfügung standen, eine Entscheidung, die Bombe zu bauen oder nicht, überflüssig machten. Sie mögen das auch als Gnade empfunden haben. Eine Stütze in dieser Zeit war dann aber sicher auch Ihre Freundschaft mit Georg Picht, der Sie schrittweise in Kant, Platon, Aristoteles einführte und für Ihr philosophisches Werk wohl das bedeutete, was die Freundschaft mit Werner Heisenberg für Ihr physikalisches Werk war.

Spätestens hier muß ich aber die persönliche Stütze erwähnen, die Ihre verehrte Frau Gemahlin für Sie war. Sie hatten die junge Schweizer Historikerin und Journalistin Gundalena Wille nach der Machtergreifung Hitlers kennengelernt und Sie haben sehr viel später (1977)  dazu gesagt: „Ich weiß nicht, wie ich die Spannungen eines Lebens im Schatten der Politik von damals bis heute ohne sie ausgehalten hätte.“ (Ich habe mir den Satz aufgeschrieben. Gern werde ich mich an ihn erinnern, wenn es um meine Frau geht.)

Das Wissen um die moralische Verantwortung des Wissenschaftlers für die Folgen seiner Arbeit - auch wenn er diese Folgen nicht gewollt hat und nicht einmal vorhersehen konnte -, dieses Wissen hat Sie nachhaltig getroffen. Von hier aus führte ein gerader Weg zur „Göttinger Erklärung“, mit der sich am 12. April 1957 achtzehn prominente Kernphysiker in der Öffentlichkeit gegen Pläne einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr wendeten, darunter Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Max von Laue, Fritz Straßmann. Diese Erklärung trägt nicht nur auch Ihre Unterschrift, Sie haben sie im wesentlichen formuliert. Die Erklärung war, wie wir uns alle erinnern, seinerzeit heftig umstritten. Sie war aber Grundlage für eine Politik, an der Deutschland noch heute festhält - freilich, das muß auch gesagt werden, im Schutze eines Bündnisses.

In den 80er Jahren machten Sie der Öffentlichkeit zunehmend bewußt, daß Religion und Aufklärung sich gegenseitig nicht ausschließen, sondern bedingen. Ausgehend von der Bergpredigt, in der Sie eine der zentralen Botschaften des Christentums sehen, haben Sie eine „Weltkonferenz der Kirchen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung“ angeregt. Über die Versammlung sämtlicher europäischer Kirchen in Basel führten diese Bemühungen schließlich zur Weltversammlung der christlichen Kirchen, die der Weltkirchenrat für das Frühjahr 1990 nach Seoul einlud.

Sie bemühten sich jedoch nicht nur um den konziliaren Prozeß, sondern Sie lenkten den Blick weit darüber hinaus auf die anderen großen Weltkulturen und Weltreligionen. Der heute mehr denn je nötige interkulturelle Dialog hat in Ihnen einen seiner großen Anreger gefunden. Er führt uns zwingend auch zu grundlegenden Fragen der Ethik. Sie bringen das in Ihrem Buch „Der bedrohte Friede - heute“ auf den Punkt. Wieder zitiere ich Sie selbst: „Unsere Ethik darf nicht hinter der Entwicklung unserer Technik zurückbleiben, unsere wahrnehmende Vernunft nicht hinter unserem analytischen Verstand, unsere Liebe nicht hinter unserer Macht.“ Ich wünsche Ihnen und uns allen, daß diese Forderung nicht unerhört bleibt.

Lieber Herr v. Weizsäcker, ich komme endlich zum Schluß: Ich gratuliere Ihnen zu dem so überaus reichen Ertrag Ihres Lebens und ich wünsche Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gemahlin weitere glückliche Jahre der Gesundheit und der Schaffenskraft. Und ich möchte die Anwesenden auffordern, sich zu erheben und mit mir auf Ihr Wohl anzustoßen.